Ein Land ist in Rage – und verunsichert überdies. Hier werde „ein Teil Frankreichs“ angegriffen, schimpfte am Freitag der Chef der französischen Staatsbahn SNCF angesichts der Attacken auf das Hochgeschwindigkeitsnetz im Land. Und Ministerpräsident Gabriel Attal schrieb, er denke an alle Familien, die im Begriff waren, in den Urlaub zu fahren. Ihren Ärger könne er verstehen.
Pünktlich zum Auftakt der Olympischen Spiele und zum Beginn der großen Ferien-Reisewelle ist das Nachbarland brüsk daran erinnert worden, dass es absolute Sicherheit nicht geben kann. Es gab drei Anschläge an neuralgischen Punkten des Bahnnetzes weitab der Hauptstadt, ein vierter konnte offenbar vereitelt werden. Das Ergebnis: Etliche TGV-Züge im Land fielen aus, andere wurden umgeleitet und erreichten ihr Ziel mit großen Verspätungen. Betroffen waren auch Verbindungen von und nach Deutschland. 800.000 Reisende schauten in die Röhre.
Noch ist unklar, wer der Urheber der Sabotage-Akte ist. Die Justiz ermittelt. Solange sie keine belastbaren Erkenntnisse hat, sollte man sich mit Mutmaßungen zurückhalten. Niemand kann bislang seriös sagen, ob staatliche Akteure aus dem Ausland, Terror-Organisationen oder einheimische Kriminelle hinter der Tat stecken.
Klar scheint hingegen, dass die Täter am Tag der Olympia-Eröffnungsfeier zeigen wollten, wie verletzlich die gesamte Großveranstaltung ist. Personen kamen bei den Anschlägen auf die Bahnstrecken glücklicherweise nicht zu Schaden. Aber die Leichtigkeit, die oft mit internationalen Sportveranstaltungen einhergeht, könnte schon vor Beginn der Spiele ein jähes Ende gefunden haben.
Zehntausende Polizisten und Soldaten will der französische Staat in den kommenden zwei Wochen mobilisieren, um die Sicherheit der Athleten und Gäste bei den Olympischen Spielen zu gewährleisten. Das ist ein ambitioniertes Unterfangen. In den vergangenen Tagen haben die Sicherheitskräfte im großen Stil Öffentlichkeitsarbeit betrieben und vor laufenden Kameras ihr Hightech-Equipment vorgeführt. Die Botschaft: Wir sind überall – sei es an den Sportstätten, in den Straßen der Stadt und bei der Eröffnungsfeier.
Die Anschläge auf die Bahnstrecken von Freitagmorgen haben allerdings gezeigt, dass es gar keine Attacke im Großraum Paris braucht, um die Spiele empfindlich zu stören. Sabotage an der Infrastruktur reicht. Und sollten irgendwo in der Provinz schlimme Dinge passieren – etwa ein Bombenanschlag oder ein Amoklauf -, würde sich unweigerlich die Frage stellen, ob eine Fortsetzung der Wettkämpfe in Paris unter diesen Umständen zu verantworten wäre.
Man muss sich immer wieder vor Augen halten, dass in weltpolitisch turbulenten Zeiten die Gefahr von Anschlägen jeder Art grundsätzlich groß ist. Erst recht dann, wenn viele Menschen an relativ wenigen Punkten zusammenkommen. Bei der Fußball-Europameisterschaft in Deutschland haben die Sicherheitsbehörden gute Arbeit geleistet. Aber das Land hat auch Glück gehabt.
Frankreich und allen Sportbegeisterten rund um den Globus ist von Herzen zu gönnen, dass jetzt auch die Olympischen Spiele ohne größere Zwischenfälle vonstattengehen. Vor allem aber darf eine abstrakte Anschlagsgefahr nicht dazu führen, dass Staat und Bürger von vornherein kapitulieren: Die Freude am Leben sollte sich niemand nehmen lassen. Große Sportveranstaltungen sind Feste. Und Feste muss man bekanntlich feiern, wie sie fallen.
Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST
Telefon: 030/887277 – 878
bmcvd@morgenpost.de