Ein Dating-Coach erklärt die psychologischen Mechanismen hinter Frust, Sucht und Einsamkeit
Millionen Singles suchen online nach Liebe, doch die Zahlen sprechen eine andere Sprache: Immer mehr Menschen bleiben Single – trotz unzähliger Matches, Likes und Swipes. Mit dem Aufschwung der Dating-Apps in den Industriestaaten haben gleichzeitig die Single-Raten zugenommen. Wie kann es sein, dass wir so viele Kontaktmöglichkeiten wie niemals zuvor in der Menschheitsgeschichte haben, aber es uns immer schwerer fällt, Partnerschaften zu finden?
Für den Psychologen und Dating-Coach Dr. Guido F. Gebauer, der vor 19 Jahren die psychologische Partnervermittlung Gleichklang gründete, ist dies kein Widerspruch:
„Dating-Apps sind nicht darauf ausgerichtet, Beziehungen zu stiften – sie sind darauf programmiert, uns möglichst lange in der App zu halten.“
Die Mechanik hinter der Einsamkeit: Warum Swipen die falsche Lösung ist
Das Swipen auf Tinder & Co. sei nicht zufällig entwickelt worden, sondern folge psychologischen Prinzipien, die ursprünglich in Experimenten mit Tauben in der Skinner-Box erprobt wurden. So gab Jonathan Badeen, Mitgründer von Tinder, öffentlich zu, dass er das Swipen genau nach diesem Modell ableitete: Ein endloser Kreislauf aus kleinen Dopamin-Kicks, der süchtig macht, aber nicht zum Ziel führt.
Gebauer macht aus seiner psychologischen Sicht vor allem vier Faktoren für Probleme vieler Nutzer mit den Dating-Apps verantwortlich:
Vier zentrale Probleme der App-Nutzung
- Oberflächlichkeit statt echter Kompatibilität: Entscheidungen fallen in Sekundenbruchteilen – basierend auf einem Foto, statt auf Lebenszielen oder Werten.
- Choice Overload und emotionale Erschöpfung: Wer ständig neue Profile anschauen kann, verliert den Fokus, trifft die falschen Entscheidungen und wird langfristig unzufrieden.
- Die Illusion von kostenloser Liebe: Viele Plattformen locken mit Gratisangeboten, treiben Nutzer dann aber gezielt in teure Premium-Abos. Durch die Gratisangebote werden zahlreiche unseriöse Profile angezogen, die sodann mit den echten Profilen konkurrieren.
- Nutzer sind Spielball widersprüchlicher Motive: Studien zeigen, dass viele Nutzer von Dating-Apps längst in Beziehungen sind. Oft werden Dating-Apps zur Selbstbestätigung oder zur Ablenkung von Langeweile genutzt. Dies ist aber nicht erkennbar, sodass die Partnersuche sprichwörtlich zur Suche nach der Nadel im Heuhaufen wird.
Dating-Apps als Glücksspiel?
„Wir erleben eine Dating-Krise“, sagt Dr. Gebauer. „Dating ist zu einem Massenkonsumgut geworden. Apps trainieren uns darauf, durch Profile zu scrollen wie durch eine Shopping-Seite – aber Beziehungen lassen sich nicht im Schnellkaufverfahren erwerben.“
Die moderne Online-Dating-Welt fördert nach Gebauer letztlich die Gamifizierung der Partnersuche, worunter die Einführung von Spielelementen in einen Nicht-Spiel-Kontext verstanden werde. „Das Prinzip erinnert an einen Spielautomaten – man zieht immer wieder am Hebel in der Hoffnung auf den nächsten Treffer“, so Gebauer.
Bei einem offiziellen Spiel wissen allerdings alle, dass sie Spieler sind. Beim Online-Dating nehmen demgegenüber viele ihren Status als Spieler nicht wahr und glauben stattdessen, sich auf ein Beziehungsziel hin zu bewegen. Tatsächlich jedoch werde unbewusst durch die Struktur der Apps das langfristige Beziehungsziel durch ein kurzzeitiges Matching-Ziel ersetzt. Sobald ein Match erreicht sei, werde der Blick wieder auf das nächste Match als Belohnung ausgerichtet.
Dating-Burnout als Folge der App-Nutzung
Gebauer berichtet, dass viele Nutzer irgendwann aufgrund von Langeweile und Frustration bemerkten, in welcher Situation sie sich befänden:
„Vermehrt berichten Studien von einem Dating-Burnout, bei dem die Nutzung der Dating-Apps zu emotionaler Erschöpfung und Resignation führt. Das ist auch der Grund, warum Dating-Apps zu den am meisten gelöschten Apps überhaupt gehören.“ Viele Nutzer, die ihre App löschen, halten dies aber laut Gebauer nicht lange durch, da sie ähnlich wie Glücksspieler den Kick vermissen oder gar den Eindruck haben, ohne die App nicht leben zu können. So entstehe ein für manche ewiger Zyklus aus Löschung und Reinstallation, der ähnlich dem Zyklus aus Entzug und Rückfall bei Suchtkranken sei.
Rückzug aus dem öffentlichen Raum
Die von vielen erlebte Abhängigkeit von den Dating-Apps ergibt sich nach Gebauer auch daraus, dass der Aufschwung der Dating-Apps nicht nur die Partnersuche online zum Spiel gemacht habe, sondern gleichzeitig die Partnersuche offline erschwere. Immer mehr Menschen assoziierten den öffentlichen Raum nicht mehr mit der Partnerfindung, sodass die Bereitschaft für ein Kennenlernen sinke. Die Chance für Zufallsbegegnungen nehme so ab, zumal überall im öffentlichen Raum Menschen verstärkt mit ihren Smartphones beschäftigt seien – nicht selten bei Tinder & Co.
Alternative Wege zur Beziehung
Gebauer gründete vor 19 Jahren – vor der Geburt der ersten Dating-App – seine psychologische Partnervermittlung Gleichklang, die sich seither den Trends der Apps konsequent verweigert hat. Doch selbst hier spürt er die Folgen der App-Kultur. „Nutzer kommen heute mit Erwartungen, die durch Dating-Apps geprägt wurden: sofortige Vorschläge, kostenlose Tests, schnelle Matches. Wenn sie dann warten sollen, bis sie dem einen passenden Menschen begegnen, sind viele irritiert“, so Gebauer. „Die Dating-Apps haben nicht nur unser Verhalten, sondern unser gesamtes Verständnis davon verändert, wie Partnersuche funktioniert. Wer sich dem entziehen will, muss bewusst einen anderen Weg gehen.“
Nischen als Zufluchtsort
Hoffnung schöpft Gebauer aber aus dem zunehmenden Dating-Burnout, der dazu führe, dass Nischen erhalten bleiben oder sogar neue Nischen entstehen: „Wir werden nie zum Trendsetter in der Branche“, räumt Gebauer ein. „Aber wir sind ein Zufluchtsort für diejenigen, die erkannt haben, dass der Mainstream des Online-Dating sie in die Irre führt.“
Über den Autor
Gebauer schreibt wöchentlich in einem psychologischen Dating-Blog über wissenschaftliche Befunde zur Online-Partnersuche. Im Online-Coaching berät er Klienten, mit welchen Strategien sie ihre Partnerfindung am besten zum Erfolg bringen können. Bei Gleichklang entwickelt er den Algorithmus weiter, den er als Alternative und Gegenmodell zum Siegeszug der Dating-Apps versteht. Auch in seinem Video “ Dating-Apps versprechen Liebe – und erzeugen Einsamkeit“ widmet sich Gebauer dieser Thematik und erläutert eindrücklich, wie psychologische Mechanismen moderner Dating-Apps zur Vereinsamung statt zu Beziehungen führen.
Dr. Guido F. Gebauer steht Journalistinnen und Journalisten jederzeit für Interviews, Hintergrundgespräche und vertiefende Analysen zur Psychologie der modernen Partnersuche zur Verfügung.
Pressekontakt:
Dr. Guido F. Gebauer
Gleichklang limited
Oesterleystr 1
30171 Hannover
Tel.: +49 (0)15228973672
E-Mail: gebauer@gleichklang.de