Parlamente werden häufig auch als „Hohes Haus“ bezeichnet. Das allerdings heißt nicht, dass sie vor Niedertracht gefeit wären. Im Thüringer Landtag hat man damit besondere Erfahrungen: Vor viereinhalb Jahren wurde dort der FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt, der Kandidat selbst und die CDU ließen sich trotz aller Warnungen von der Rechts-Außen-Partei austricksen. Am Donnerstag dieser Woche wiederum zeigte die weiter erstarkte AfD bei der konstituierenden Sitzung im Erfurter Parlament erneut, was in ihr steckt: Der Alterspräsident, ein AfD-Mann, führte die Sitzung nicht neutral, sondern überaus parteiisch. Es kam zum Eklat, der Landtag konnte nicht einmal seine eigene Beschlussfähigkeit feststellen – geschweige denn einen regulären Präsidenten wählen.
Die AfD ist eine Partei, die sich im Graubereich zwischen Rechtskonservatismus und Nazitum bewegt. Der Thüringer Landesverband um seinen Vorsitzenden Björn Höcke wird vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft. In der rechten AfD stehen Höcke und seine Leute ganz weit rechts.
So gesehen ist es nur folgerichtig, dass sie versuchen, Parlamenten ihre Würde zu nehmen. Wer wie die Höcke-AfD die Freiheit und die offene Gesellschaft verachtet, der verachtet auch den Parlamentarismus und seine Spielregeln. Das war allerdings auch schon vor der denkwürdigen Sitzung von Donnerstag bekannt. Genau wie bekannt war, welche Wendung sie nehmen könnte. Aus den Landtagswahlen in Thüringen war die AfD Anfang September als stärkste Kraft hervorgegangen. Zum Regieren wird es nicht reichen, weil es ihr an Partnern fehlt. Aber die Partei stellt im neuen Landtag mehr als ein Drittel der Abgeordneten, womit sie über ein Vetorecht bei Verfassungsänderungen und bei der Wahl von Verfassungsrichtern verfügt.
Vollkommen ausgrenzen lässt sich die AfD in Thüringen nicht mehr, dazu ist sie zu stark. Jetzt hat sie gezeigt, dass sie entschlossen ist, ihre Macht nach Kräften einzusetzen, um das demokratische System zu schwächen. Viele Wähler erwarten von der Partei auch genau das, da muss man sich nichts vormachen. Das wird dann womöglich dahingehend verbrämt, dass die AfD es „den anderen“ und „denen da oben“ mal so richtig zeigen solle – was aber auf das Gleiche hinausläuft.
Kein Parlament in Deutschland kommt mehr um die Aufgabe herum, die politischen Spielregeln in seinem Zuständigkeitsbereich zu überprüfen und sich die Frage zu stellen, ob diese stark genug sind, um Extremisten Stand halten zu können. Es geht um mögliche Änderungen an den Geschäftsordnungen und Verfassungen.
Im Bundestag haben sich Ampelkoalition und Union bereits auf eine Grundgesetzänderung verständigt, um das Bundesverfassungsgericht besser vor der Unterwanderung durch Populisten zu schützen. So etwas muss man aber machen, bevor es zu spät ist. Das heißt: rechtzeitig vor den nächsten Wahlen.
In Thüringen scheiterte Ende 2023 ein Antrag der Grünen, das Prozedere zur Wahl des Parlamentspräsidenten klarer zu fassen, am Widerstand der CDU. Deren Chef Mario Voigt, der jetzt Ministerpräsident werden will, verließ sich lieber auf Absprachen zwischen den Parteien inklusive der AfD. Dass Zusagen von Höcke und seinen Leuten im Zweifel nichts wert sind, hätte er damals schon wissen können. Nach dem Eklat von Donnerstag steht der Regierungschef in spe dumm da – und das Parlament gleich mit. Vermutlich kann die AfD ihr Glück kaum fassen.
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