Am 19. Juni sorgte Joseph Lubin, Mitgründer von Ethereum und CEO von Consensys, für Aufsehen mit einer steilen These: Ether (ETH) – der native Token der Ethereum-Blockchain – könne in Zukunft größer werden als das heutige weltweite Bruttoinlandsprodukt (BIP). In einem Beitrag auf X (ehemals Twitter) erklärte er, warum selbst optimistische Einschätzungen zur Zukunft von ETH seiner Meinung nach nicht optimistisch genug sind.
ETH als „digitales Öl“? Lubin sieht mehr
Der Anlass für Lubins Beitrag war ein viel beachteter Research-Artikel, der Ether als „digitales Öl“ bezeichnete – also als einen Treibstoff, der die Infrastruktur der dezentralen Wirtschaft am Laufen hält. Lubin lobte das Paper als „starke Arbeit“ und betonte, dass jeder Leser davon lernen könne. Doch dann der Vorwurf:
„Es hat einen tiefen strukturellen Fehler: Es ist nicht bullisch genug.“
Laut Lubin reicht es nicht aus, ETH als Transaktionsmittel zu betrachten. Er sieht darin die Basis einer neuen, dezentralisierten Weltökonomie, die weit über alles hinausgeht, was es heute gibt.
„ETH wird größer als das globale BIP“
In seiner Vision steht Ethereum im Zentrum einer neuen Ära, die durch künstliche Intelligenz (KI), automatisierte Prozesse und digitale Identitäten geprägt ist. In diesem „hybriden Mensch-Maschine-Zeitalter“, wie er es nennt, wird Vertrauen zum zentralen Produktionsfaktor – und Ethereum stellt dieses Vertrauen bereit.
„Es ist kein großer Sprung zu sagen, dass der Wert, der auf Ethereum gespeichert wird und durch das Netzwerk fließt, um ein Vielfaches größer sein wird als das heutige globale BIP.“
Lubin verweist auf rasant steigende Ausgaben für Energie, Rechenzentren und Chips. Diese dienen vor allem der KI-Industrie. Da diese Infrastruktur digital ist, brauche sie eine digitale, vertrauenswürdige Abrechnungsschicht – und genau das biete Ethereum.
BTC ist digitales Gold – aber ETH ist die Wirtschaft
Lubin erneuert dabei ein bekanntes Narrativ: Bitcoin als „digitales Gold“, ein Wertspeicher. Ethereum hingegen sei das Betriebssystem der neuen Wirtschaft – ein globales Netzwerk, auf dem Verträge, Zahlungen, Identitäten und digitale Organisationen dezentral laufen.
„BTC ist Gold 2.0. ETH ist die Währung der kommenden digitalen Wirtschaft.“
Er vergleicht ETH mit einem magischen Vertrauens-Diamanten: Wenn man davon ein Stück an jede digitale Transaktion oder Vereinbarung hängen könnte – wie viel Mehrwert würde das bringen? 10 % des globalen BIP? 100 %? Oder mehr?
Seine Antwort ist klar: Das Ticker-Symbol dieses Diamanten ist ETH.
Was macht Ethereum so vertrauenswürdig?
Lubin begründet den hohen Wert von Ethereum mit seiner extremen Dezentralisierung. Das Netzwerk zählt tausende unabhängige Validatoren, die es praktisch unmöglich machen, das System zentral zu manipulieren. Das macht ETH in seinen Augen zum „Goldstandard des digitalen Vertrauens“ – ein „Trust Commodity“, also eine Ware, deren Wert auf Vertrauen basiert.
Kombiniert man diesen Vertrauenswert mit der realen Nachfrage nach Transaktionen (dem „digitalen Öl“-Narrativ), ergibt sich laut Lubin ein doppelter Nachfrageeffekt, der ETH langfristig stark im Wert steigen lässt.
Tatsächlich zeigt ein Blick auf die aktuellen Zahlen ein anderes Bild: ETH notierte am 19. Juni bei rund 2.525 US-Dollar pro Coin, was einer Marktkapitalisierung von etwa 307 Milliarden US-Dollar entspricht – also nur 0,3 % der globalen Wirtschaftsleistung.
Doch auch diese Zahl ist irreführend, meint Lubin. Denn:
- Rund 29 % aller ETH sind in Staking-Verträgen gebunden – sie stehen also dem Markt nicht zur Verfügung.
- Die Inflation von ETH ist nach dem „Merge“ praktisch neutral oder sogar deflationär.
- Das Interesse institutioneller Investoren wächst – auch wenn es noch nicht auf Bitcoin-Niveau ist.
Lubin sieht die aktuelle Marktlage nicht als Endpunkt, sondern als Anfang einer langfristigen Verknappung, die dem Preis Auftrieb geben wird.
Kritische Frage: Kann ein einzelner Vermögenswert wirklich die Weltwirtschaft übersteigen?
Die These, dass ein einzelner Vermögenswert – selbst ETH – größer werden könnte als die globale Wirtschaftsleistung, wirkt zunächst unrealistisch. Noch nie hat ein Asset eine so dominante Rolle eingenommen.
Doch Lubins Argument ist ein anderes: Wenn sich Wertschöpfung zunehmend ins Digitale verlagert, dann ist Vertrauen in diese digitale Welt der neue Produktionsfaktor. Und dieser lässt sich nicht mehr durch Nationalbanken oder Gerichte absichern – sondern nur durch digitale Protokolle wie Ethereum.
Joseph Lubin skizziert mit seinem Essay eine radikale, aber durchdachte Zukunftsvision: Ethereum ist nicht einfach ein Netzwerk für DeFi oder NFTs, sondern das Rückgrat einer dezentralisierten, KI-gesteuerten Weltökonomie. In dieser Welt wird Vertrauen zum neuen Kapital – und ETH zum digitalen Rohstoff, der dieses Vertrauen abbildet.
Ob diese Vision Realität wird, bleibt offen. Doch klar ist: Wer ETH heute nur als „Gas-Token“ für Transaktionen sieht, versteht möglicherweise nicht das volle Potenzial, das in diesem System steckt.
„ETH wird kein Asset unter vielen sein. Es wird das Fundament einer neuen digitalen Ordnung.“ – Joseph Lubin