Bitcoin steht aktuell wieder kurz vor der psychologisch wichtigen Marke von 110.000 US-Dollar. Doch laut einer neuen Analyse von Bitwise Asset Management ist dieser Preis weit unter dem tatsächlichen „inneren Wert“. In einem Marktbericht für Kalenderwoche 24 haben Dr. André Dragosch (Leiter Forschung Europa) und Ayush Tripathi (Analyst) dargelegt, warum der faire Preis für einen Bitcoin bei rund 230.000 US-Dollar liegen könnte.
Was steckt hinter dieser Zahl? Wie wird sie berechnet? Und was bedeutet sie für Investoren, die bereits in Bitcoin investiert sind oder den Einstieg erwägen? Der folgende Artikel erklärt die wichtigsten Argumente der Bitwise-Analyse – verständlich, faktenbasiert und praxisnah.
1. Warum Bitcoin als makroökonomische Absicherung betrachtet wird
Bitwise argumentiert, dass Bitcoin in Zeiten wachsender Staatsverschuldung, Inflation und globaler Unsicherheit eine neue Funktion bekommt. Es geht nicht mehr nur um Spekulation oder Technologie. Es geht um monetäre Stabilität – in einer Welt, in der klassische Währungen zunehmend unter Druck geraten.
Ein zentrales Argument: Staaten verschulden sich immer weiter, während ihre Fähigkeit zur Rückzahlung fraglich wird. Besonders in den USA steigen die Zinskosten rasant an. Laut dem Congressional Budget Office (CBO) werden die jährlichen Zinszahlungen der USA von derzeit 1 Billion Dollar auf über 3 Billionen US-Dollar bis 2030 ansteigen.
Zugleich steigen die Credit Default Swaps (CDS) – also Versicherungen gegen Staatspleiten – auf neue Höchststände. Das zeigt: Der Markt beginnt, Staaten als Schuldner zunehmend zu misstrauen.
Bitcoin hat in diesem Kontext einen entscheidenden Vorteil: Es ist nicht von einer Regierung kontrolliert, kann nicht beliebig vermehrt werden und hat keine Gegenpartei, die ausfallen könnte. Es wird dadurch zur „digitalen Reservewährung“ – ähnlich wie früher Gold.
2. Wie Bitwise den fairen Wert von Bitcoin berechnet
Die Bitwise-Analyse nutzt mehrere Indikatoren, um den fairen Wert zu bestimmen:
- Souveräne Kreditrisiken: Die Wahrscheinlichkeit, dass große Staaten ihre Schulden nicht bedienen können.
- Liquidität: Die Geldmenge im Finanzsystem, beeinflusst durch Notenbanken und Kreditvergabe.
- Marktstimmung: Einschätzungen aus Umfragen und Handelsdaten.
- On-Chain-Daten: Bitcoin-Bestände auf Börsen, Transaktionsverhalten großer Investoren.
- Kapitalflüsse: Zuflüsse in börsengehandelte Produkte wie Bitcoin-ETFs.
Basierend auf diesen Datenpunkten schätzen die Analysten den fairen Wert von Bitcoin aktuell auf 230.000 US-Dollar – also mehr als das Doppelte des tatsächlichen Marktpreises.
3. Was On-Chain-Daten über das Marktverhalten verraten
On-Chain-Daten gelten als besonders glaubwürdig, weil sie direkt aus der Blockchain stammen. Laut Bitwise zeigen diese Daten einen klaren Trend:
- Die Bitcoin-Bestände auf Börsen sind auf nur noch 2,91 Millionen BTC gesunken. Das sind nur etwa 14,6 % der umlaufenden Menge.
- In der vergangenen Woche haben sogenannte „Wale“ – also große Investoren – über 390.000 BTC von Börsen abgezogen. Das deutet auf Langfristigkeit hin.
- Gleichzeitig sind die Zuflüsse in Spot-ETFs stabil: Über 525 Millionen Dollar flossen allein in der letzten Woche in US-ETFs.
Das bedeutet: Immer mehr Investoren kaufen Bitcoin, um ihn zu halten – nicht um kurzfristig zu handeln.
4. Derivate zeigen vorsichtigen Optimismus
Auch die Derivate-Märkte zeigen eine interessante Entwicklung:
- Offene Positionen bei Bitcoin-Futures steigen wieder leicht.
- Die Funding Rates – also Gebühren für gehebelte Positionen – bleiben mehrheitlich positiv.
- Die Optionsmärkte zeigen ebenfalls Aktivität: Das Volumen stieg um 27.300 BTC, was auf Absicherungsstrategien hindeutet.
Diese Daten deuten auf einen stabilen und wachsenden Markt hin – auch wenn kurzfristige Rücksetzer möglich bleiben.
5. ETF-Zuflüsse bleiben stark – Institutionen kommen langsam
Neben den Spotmärkten sehen auch börsengehandelte Fonds weiter starke Nachfrage:
- In der letzten Woche flossen 488,5 Millionen Dollar weltweit in Krypto-ETPs.
- Davon gingen über 254 Millionen in Bitcoin-Produkte.
- Auch Bitwises eigener Fonds, der „BITB“, konnte 78,1 Millionen Dollar einsammeln.
Auffällig ist, dass die Zuflüsse inzwischen breit gestreut sind – auch Ethereum-Produkte legten zuletzt stark zu. Das zeigt: Das Interesse geht über Bitcoin hinaus, doch BTC bleibt der Primärprofiteur institutioneller Nachfrage.
6. Risiken: Warum trotz allem Vorsicht geboten ist
Bitwise warnt jedoch auch: Der Markt bleibt empfindlich gegenüber Schlagzeilen und Politik.
Ein Beispiel: Ein kurzer öffentlicher Streit zwischen Elon Musk und Donald Trump sorgte letzte Woche dafür, dass Bitcoin kurzfristig auf 100.000 US-Dollar fiel – bevor er sich wieder erholte. Trotz positiver Fundamentaldaten bleiben externe Risiken bestehen:
- Zinspolitik der Fed
- Regulierung von Kryptowährungen
- Politische Unsicherheiten (z. B. Handelsstreit USA–China)
Solche Ereignisse können kurzfristige Rücksetzer auslösen – ändern laut Bitwise jedoch nichts am langfristigen Wertmodell.
7. Bitcoin ist mehr als ein digitales Spekulationsobjekt
Die Analyse von Bitwise kommt zu einem klaren Schluss: Bitcoin wird vom Spekulationsobjekt zum Makroinstrument. In einer Welt steigender Verschuldung, zunehmender Inflationsgefahren und geldpolitischer Unsicherheiten bekommt BTC eine neue Bedeutung.
Der geschätzte faire Wert von 230.000 US-Dollar ist nicht bloß Fantasie, sondern ein rechnerisch fundiertes Modell, das viele Faktoren berücksichtigt – von geopolitischer Unsicherheit bis zu Blockchain-Daten.
Für Anleger bedeutet das:
- Bitcoin könnte aktuell unterbewertet sein.
- Wer langfristig denkt, findet hier ein interessantes Chance-Risiko-Verhältnis.
- Das Narrativ ändert sich: Bitcoin wird zur digitalen Absicherung gegen globale Instabilität.