Bitcoin ist in Chile nicht länger nur ein Thema für Technikfans oder Finanzexperten. Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2025 rückt die Kryptowährung zunehmend ins Zentrum der politischen Debatte – vor allem wegen ihrer Bedeutung für die Energieversorgung des Landes.
Von der Nische in den Wahlkampf
Der neuseeländische Klima-Investor Daniel Batten brachte es kürzlich auf den Punkt: „Bitcoin entwickelt sich in Chile zum Wahlkampfthema.“ Auf der Plattform X (ehemals Twitter) schrieb er, dass sich keine ernstzunehmende Kandidatin oder kein Kandidat mehr offen gegen die Technologie stelle. Batten warnte sogar:
„Gegen Bitcoin zu sein, ist wie gegen das Internet zu sein – politischer Selbstmord.“
Hinter diesem Wandel steckt viel strategische Arbeit. Im Mittelpunkt steht der Softwareentwickler und politische Berater Andrés Villagrán, der seit 2023 eine stille, aber gezielte Lobbykampagne organisiert. Dabei arbeitet er eng mit dem US-Amerikaner Dennis Porter zusammen – dem Geschäftsführer des Satoshi Action Fund.
Bitcoin is shaping as an election issue for Chile in 2025
Context: @avillagran has now met candidates from both the left and the right, who have the best chances of winning in the June primaries.
* No-one is against it (they’ve learnt from the Democrats debacle in US and know… pic.twitter.com/5fNywaATKN
— Daniel Batten (@DSBatten) May 19, 2025
Gemeinsam besuchten sie Ausschüsse im chilenischen Parlament, führten Gespräche mit Kandidatinnen und Kandidaten und warben für eine neue Sichtweise: Bitcoin-Mining als Lösung für Chiles Energieprobleme.
Bitcoin als Antwort auf Energieverschwendung
Chile hat in den letzten Jahren stark in erneuerbare Energien investiert, besonders in Wind- und Sonnenkraft. Doch ein großes Problem bleibt: Viel Strom kann nicht genutzt werden und wird „abgeregelt“, weil es keine passenden Abnehmer gibt – ein Phänomen, das „Curtailment“ genannt wird.
Genau hier setzt das Konzept an: Bitcoin-Mining braucht viel Energie, kann aber flexibel ein- und ausgeschaltet werden. Das macht es zu einem idealen Partner für erneuerbare Energien. Dennis Porter sagte dazu beim Chile Fintech Forum 2025:
„Jedes Jahr gehen in Chile sechs Terawattstunden Solar- und Windenergie verloren. Wenn man diese mit einem flexiblen Verbraucher wie Bitcoin-Mining kombiniert, kann man die Leistungskürzung komplett vermeiden.“
Villagráns Botschaft findet Gehör. Mehrere Kandidaten für die Präsidentschaft 2025 haben sich bereits offen für Bitcoin geäußert – nicht als Spekulation, sondern als wirtschaftliche Chance. Laut Informationen aus Wahlkampfteams betrachten José Antonio Kast (Republikanische Partei) und Evelyn Matthei (Chile Vamos, Mitte-Rechts) Bitcoin inzwischen als Wettbewerbsfaktor, nicht als Risiko. Beide liegen derzeit mit jeweils 17 % in den Umfragen.
Auch im linken Lager wird das Thema diskutiert. Im Bündnis „Unidad para Chile“ treten am 29. Juni vier Kandidaten zur Vorwahl an: Carolina Tohá, Gonzalo Winter, Jeannette Jara und Jaime Mulet. Keiner von ihnen hat sich bisher klar gegen Bitcoin positioniert. Laut Insidern wird mindestens eine Person das Thema am 20. Juni in der ersten TV-Debatte öffentlich ansprechen – mit Fokus auf Energiepreise und digitale Innovationen.
Zentrale Bank zögert – Parlament arbeitet
Ein wichtiger Punkt im politischen Ringen ist das geplante Gesetz zur Strategischen Bitcoin-Reserve (SBR). Es soll der chilenischen Zentralbank erlauben, Bitcoin wie Gold oder US-Dollar als Währungsreserve zu halten. Villagrán schreibt dazu:
„Seit 2023 habe ich über 20 Parlamentsmitglieder und mehrere Minister getroffen. Im zweiten Halbjahr sind weitere Gespräche mit dem Finanzministerium geplant.“
Die Zentralbank selbst zeigt sich jedoch noch skeptisch. Sie warnt vor hoher Volatilität und verweist auf internationale Vorgaben des Internationalen Währungsfonds (IWF). Auch die aktuelle Regierung unter Präsident Gabriel Boric hält sich offiziell zurück. Doch das politische Klima ändert sich. Daniel Batten meint:
„Chiles Politiker haben aus dem Fehler der US-Demokraten gelernt.“
In den USA sei eine zu kritische Haltung gegenüber Bitcoin vielen Stimmenverlusten gleichgekommen. In Chile wolle man diesen Fehler nicht wiederholen.
Eine neue Ära für Lateinamerika?
Falls sich der Trend fortsetzt, könnte Chile bei der Wahl im November 2025 Geschichte schreiben: Erstmals in Lateinamerika würden dann alle großen Präsidentschaftskandidaten Bitcoin in ihren Programmen erwähnen. Und das nicht nur aus Finanzsicht, sondern auch als Beitrag zur Energie- und Innovationspolitik.
Die Entscheidung dürfte auch außerhalb Chiles auf Interesse stoßen – insbesondere bei Ländern, die auf erneuerbare Energien setzen und gleichzeitig nach wirtschaftlicher Stabilität suchen. Bitcoin, einst als Spielgeld belächelt, könnte so zum strategischen Werkzeug in der Klima- und Wirtschaftspolitik werden.
Was einst als Randthema galt, ist in Chile plötzlich Wahlkampfrelevant. Politiker aller Lager erkennen, dass Bitcoin nicht nur ein finanzieller Wertspeicher ist – sondern auch ein Instrument zur Lösung realer Probleme, wie der Energieverschwendung.
Ob das SBR-Gesetz noch vor der Wahl verabschiedet wird, bleibt unklar. Doch das Thema ist gesetzt. Bitcoin wird nicht mehr nur diskutiert – es wird zur Messlatte für Fortschritt, Technologieoffenheit und Energieeffizienz.